In der Familienforschung begegnen einem immer wieder spannende, komische aber auch erschreckende Lebensgeschichten. Eine Goldgrube für solche Quellenfunde sind die Luzerner Landvogteirechnungen. Bei diesen handelt es sich um die Jahresrechnungen der amtierenden Landvögte auf der Luzerner Landschaft. In den Rechnungen wurden die jeweiligen Einnahmen und Ausgaben der Landvogtei festgehalten. Eine wichtige Einnahmequelle waren die Bussen, welche für allerlei Vergehen ausgestellt wurden. In der Regel sind die Verzeichnisse nach Gemeinden oder Gerichtskreisen geordnet. Die Gebüssten wurden dort jeweils namentlich mit der bezahlten Geldsumme aufgelistet. Als Glücksfall für die heutige Forschung wurden oft auch ihre Delikte kurz erläutert. Zeitlich reichen die Landvogteirechnungen meist bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück und enden um 1798 mit dem Zusammenbruch des Ancien Régime. Deutlich früher setzten die Rechnungen der Landvogteien Willisau (ab 1499) sowie Malters und Littau (ab 1514) ein.
Die persönliche Suche in den Bussenlisten der Landvogteirechnungen brachte einige interessante Einträge zusammen, die hier gesammelt werden. Man könnte noch unzählige solcher Einträge finden, weshalb hier nur ein paar Beispiele für spannende und skurrile Quellenfunde aufgeführt werden.
Diebstähle, gerupfte Bärte und entführung
Bussen wegen Diebstählen sind insbesondere dann interessant, wenn die Delikte genauer beschrieben werden. 1735 wurde Franz Diegeringer vom Ruswiler Landvogt um 1 Gulden und 20 Schilling gebüsst, weil er dem Johann Niffeler „ein wenig heü“ stahl.[1] Johann Bienz aus dem Gericht Escholzmatt klaute einem Sennen sechs Löffel. Deshalb und wegen „sines liederlichen leben“ musste er 1655 eine Busse von 12 Gulden und 30 Schilling zahlen.[2]
Ein schmerzhaftes Vergehen, das es anscheinend öfters gab, war das Ausreissen von Bärten. 1584 musste Johann Rüttimann eine Busse von 3 Gulden und 10 Batzen zahlen, weil er dem Untervogt Schlunder „den bardt uszogen hadtt“.[3] Der Bürli zu Daiwil bei Willisau bekam 1611 vom Ruswiler Landvogt wegen „bartt ussraupffens“ eine Busse von 7 Gulden aufgebrummt.[4] Kaspar Schwendimann von Entlebuch wurde 1641 vom Landvogt um 8 Gulden gebüsst, weil er dem Jodok Marbach den „baart uszogen“ hatte.[5] 1718 wurde Jakob Sidler ebenfalls „wegen bart außraupfen“ um 2 Gulden und 10 Schilling gebüsst.[6]
Solche kleineren Vergehen wurden vergleichsweise noch mild bestraft. Aus Sicht der Obrigkeit deutlich schlimmer und als Straffall wohl aussergewöhnlich war eine mutmassliche Entführung: Friedrich Burger aus dem aargauischen Reinach musste 1636 beim Landvogt von Ruswil eine saftige Busse von 82 Gulden bezahlen, weil er „Gabriel Wissen frauwen ein ganz halb iar umbher geschlegpfft [!] hatt“.[7]
Amtsleute, die ihre Position missbrauchten, mussten ebenfalls mit hohen Geldstrafen rechnen. Weibel Kugler von Pfaffnau musste 1640 eine Busse von 100 Gulden bezahlen, weil er dem Prior des Klosters St. Urban „osterrichische tirannische proceduren“ vorwarf, selber eine Gemeindeversammlung einberief und dem Ulrich von Moos 50 Gulden Schulden erliess und diese auf die Gemeinde schlug.[8] Ein Bild des entsprechenden Eintrags in der Landvogteirechnung ist unten zu sehen. Wohl derselbe Weibel Kugler bekam 1644 eine weitere Busse von 40 Gulden aufgebrummt, weil er einen Acker verkaufen wollte, der jeweils dem amtierenden Weibel zur Nutzung zustand.[9]
Staatsarchiv Luzern, CB 8/1: Landvogteirechnung Willisau (1640). Foto: Olivier Felber, 14.11.2015.
Völlerei an Heiligabend und Gotteslästerung
Besonders spannend sind aus heutiger Sicht die moralischen Vergehen, von denen es in den Landvogteirechnungen nicht wenige gab. 1681 büsste der Willisauer Landvogt den Johann Affentranger aus der Pfarrei Grossdietwil um 4 Gulden und 20 Schilling, weil er „den knecht und magdt in einem zimmer schlaffen“ liess.[10] Zum Schmunzeln bringt einem auch die Strafe eines Dienstknechts im Schützeberg bei Ruswil im Jahre 1727. Der Knecht schrie auf einem Feld, dass er „hauptman über daß s. v. [salva venia, mit Verlaub] fuzendörfli Ruswil“ sei. Irgendjemand muss dies gehört und der Obrigkeit gemeldet haben. Mit einer Busse von 2 Gulden und 20 Schilling kam der Knecht eher glimpflich davon.[11]
Ein Vergehen, über das man heute ebenfalls nur den Kopf schütteln kann, ist der frühzeitige Beischlaf. Auch dafür wurden die Leute im Ancien Régime gebüsst. Eine solche Busse von 8 Gulden mussten Martin Egli und Elisabeth Rast von Buttisholz im Jahre 1746 zahlen.[12] Auch der Pfaffnauer Karl Albin Erni durfte deswegen 1765 eine Strafe von 15 Gulden begleichen.[13]
Ebenso absurd wirkt heute die Busse für das Tanzen „zu verbottener zeit“, die im Fall von Bernhard Rösli und Johann Gut von Pfaffnau im Jahr 1765 immerhin 7 Gulden und 20 Schilling betrug.[14] Unverständlich ist auch die 1755 ausgestellte Busse für Elisabeth Kost, die für ihren Sohn Beat Bösch in der Nacht Karotten ausgrub und heimtrug, was sie 6 Gulden kostete.[15]
Die sittlichen Regeln waren an Feiertagen besonders streng. Dementsprechend hoch fielen die Bussen bei deren Missachtung aus. 1636 wurde eine hohe Busse für Johann Felber und seinen Sohn, Balthasar Dobmann und seinen Sohn, Jakob Kunz, Benedikt Stauffer, Balthasar Felber und Matthias Egli gesprochen, die am Karfreitag in einem Haus in Buttisholz Wein tranken, um einen Vertrag zu bekräftigen. Jeder der Männer zahlte dem Landvogt von Ruswil 20 Gulden Busse.[16] Noch tiefer in die Tasche musste Ammann Hunkeler von Pfaffnau im Jahre 1645 greifen. An Heiligabend hatte er „die gantz nacht gefressen unnd gesoffen“, wie es in der Landvogteirechnung unverblümt heisst. Mit 32 Gulden hatte er eine beträchtliche Busse zu bezahlen.[17]
Bei Gotteslästerung verstand die Obrigkeit wenig überraschend keinen Spass. Als ein paar Pfaffnauer im Jahr 1605 hörten, wie ein Mann von Zofingen die Mutter Gottes schmähte, hatte dies ein juristisches Nachspiel. Obwohl die Luzerner die Schmähworte hörten, hatten sie dieses Vergehen nicht „gleydett“, also der Luzerner Obrigkeit gemeldet. Friedrich Winterberg musste 10 Gulden Busse zahlen, der Wirt zu Pfaffnau 20 Gulden und der Müller Johann Kugler sogar 40 Gulden.[18]
Spottlieder und Suizidversuche
Teilweise verraten die Landvogteirechnungen auch Sachen, die man sonst kaum irgendwo findet. Johann Reinhard wurde 1682 vom Landvogt zu Kriens und Horw wegen Scheltworten, Falschspielens und eines „componierten spottliedlin“ um 12 Gulden gebüsst. Johann Reinhard betätigte sich demnach als Liederdichter. Der Inhalt dieses Spottliedes wurde leider nicht erwähnt.[19]
Auf besonderes Unverständnis stösst aus heutiger Sicht die Busse für den Horwer Johann Melchior Reinhard, der 1682 vom Landvogt um stolze 19 Gulden und 5 Schilling gebüsst wurde. Die entsprechende Stelle in der Landvogteirechnung ist unten zu sehen. Sein Vergehen war es, dass er sich mehrmals das Leben nehmen wollte. Johann Melchior Reinhard stürzte sich bei Hergiswil im Kanton Nidwalden dreimal in den See, „in willens sich selbsten zuo ertrenchken“. Zum Vergleich: Die in Schlägereien verwickelten Männer kamen in diesem Jahr mit Bussen von weniger als 4 Gulden davon.[20]
Staatsarchiv Luzern, AKT 11M/187: Rechnungen [Landvogtei Kriens/Horw] (1680–1684). Rechnung von 1682. Foto: Olivier Felber, 24.07.2021.
Fazit
Abschliessend lässt sich sagen, dass die Luzerner Landvogteirechnungen mit ihren Bussenlisten eine ergiebige Quelle für die Familienforschung sind. Man erfährt mit etwas Glück nicht nur etwas über die Vergehen der eigenen Vorfahren, sondern bekommt auch einen Einblick in die damalige Zeit und Mentalität. Eine Auswertung der Landvogteirechnungen bietet sich demnach für alle an, die mehr über die „Verbrechen“ ihrer Vorfahren erfahren wollen. Ein Problem dieser Quellengattung sind jedoch die wenigen Angaben zu den gebüssten Personen. Meistens werden diese nur mit ihrem Namen aufgeführt. Wenn es in einer Gemeinde mehrere gleichnamige Personen gab, lässt sich oft nicht mit Sicherheit sagen, welche von diesen nun gebüsst wurde. Während hier nur die Landvogteirechnungen des Kantons Luzern angeschaut wurden, existieren diese Quellen wohl auch in anderen Kantonen, die in Landvogteien unterteilt waren.
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[1] Staatsarchiv Luzern, AKT 11R/397: Rechnungen des Landvogts [Landvogtei Ruswil] (1733–1737). Rechnung von 1734/35.
[2] Staatsarchiv Luzern, AKT 11H/1570: Jahresrechnung des Landvogts [Landvogtei Entlebuch] (1655).
[3] Staatsarchiv Luzern, AKT 11M/171: Rechnungen [Landvogtei Kriens/Horw] (1584–1588). Rechnung von 1584.
[4] Staatsarchiv Luzern, AKT 11R/365: Rechnungen des Landvogts [Landvogtei Ruswil] (1610–1611).
[5] Staatsarchiv Luzern, AKT 11H/1560: Jahresrechnung des Landvogts [Landvogtei Entlebuch] (1641).
[6] Staatsarchiv Luzern, AKT 11R/394: Rechnungen des Landvogts [Landvogtei Ruswil] (1717–1722). Rechnung von 1718.
[7] Staatsarchiv Luzern, AKT 11R/374: Rechnungen des Landvogts [Landvogtei Ruswil] (1636–1637). Rechnung von 1636.
[8] Staatsarchiv Luzern, AKT A1 F1 SCH 639: Finanzwesen. Jahresrechnungen des Landvogts [Landvogtei Willisau] (1613–1650). Rechnung von 1640. Staatsarchiv Luzern, CB 8/1: Landvogteirechnung Willisau (1640).
[9] Staatsarchiv Luzern, AKT A1 F1 SCH 639: Finanzwesen. Jahresrechnungen des Landvogts [Landvogtei Willisau] (1613–1650). Rechnung von 1644.
[10] Staatsarchiv Luzern, COD 950: Rechnungen – Willisauw Land-Vogtey Rechnungen (1670–1699). f. 208v.
[11] Staatsarchiv Luzern, AKT 11R/395: Rechnungen des Landvogts [Landvogtei Ruswil] (1723–1727). Rechnung von 1726/1727.
[12] Staatsarchiv Luzern, AKT 11R/399: Rechnungen des Landvogts [Landvogtei Ruswil] (1744–1747). Rechnung von 1745/1746.
[13] Staatsarchiv Luzern, AKT A1 F1 SCH 640 A+B: Finanzwesen. Jahresrechnungen des Landvogts [Landvogtei Willisau] (1651–1669, 1731–1767). Rechnung von 1765.
[14] Staatsarchiv Luzern, AKT A1 F1 SCH 640 A+B: Finanzwesen. Jahresrechnungen des Landvogts [Landvogtei Willisau] (1651–1669, 1731–1767). Rechnung von 1765.
[15] Staatsarchiv Luzern, AKT 11R/401: Rechnungen des Landvogts [Landvogtei Ruswil] (1755–1760). Rechnung von 1754/1755.
[16] Staatsarchiv Luzern, AKT 11R/374: Rechnungen des Landvogts [Landvogtei Ruswil] (1636–1637). Rechnung von 1636.
[17] Staatsarchiv Luzern, AKT A1 F1 SCH 639: Finanzwesen. Jahresrechnungen des Landvogts [Landvogtei Willisau] (1613–1650). Rechnung von 1645.
[18] Staatsarchiv Luzern, AKT A1 F1 SCH 638: Finanzwesen. Jahresrechnungen des Landvogts [Landvogtei Willisau] (1571–1612). Rechnung von 1605.
[19] Staatsarchiv Luzern, AKT 11M/187: Rechnungen [Landvogtei Kriens/Horw] (1680–1684). Rechnung von 1682.
[20] Staatsarchiv Luzern, AKT 11M/187: Rechnungen [Landvogtei Kriens/Horw] (1680–1684). Rechnung von 1682.
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